14.3.11

Käfer, der womöglich gar nicht in der Schachtel ist. (Wittgenstein)

SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Wissen - Manuskriptdienst
Der Käfer in der Schachtel
Wittgensteins Philosophie der Empfindungen
Autorin: Barbara Schmitz
Redaktion: Detlef Clas
Regie: Reinhard Winkler
Sendung: Montag, 30.8.2004, 8.30 Uhr, SWR2

Ausschnitt

Wittgenstein:
Nun, ein Jeder sagt es mir von sich, er wisse nur von sich selbst, was Schmerzen seien! - Angenommen, es hätte Jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir ”Käfer” nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Andern schaun; und Jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. - Da könnte es ja sein, dass jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. Ja, man könnte sich vorstellen, dass sich ein solches Ding fortwährend veränderte.
Erzählerin:
Der Käfer ist ein Bild für die Gefühle und Empfindungen eines Menschen, die in ihm drin sind wie in einer Schachtel. Da niemand außer der Person selbst seine Schmerzen fühlen kann, kann auch niemand in die Schachtel eines anderen Menschen sehen. Bis hierhin verbildlicht das Gleichnis eine Ansicht, die wir im Alltag oft vertreten und die viele philosophische Theorien übernommen haben: Empfindungen sind das private Eigentum der jeweiligen Person. Wittgenstein beginnt aber gleich, gegen diese Ansicht zu argumentieren: Es wäre dann ja möglich, dass jeder ein anderes Tier in der Schachtel hätte: der eine einen Maikäfer, der andere einen Marienkäfer, der dritte einen Mistkäfer. Diese Unterschiede zwischen den Käfern könnten wir nicht feststellen, da wir ja keine Möglichkeit haben, in die Schachtel einer anderen Person zu sehen und die Käfer zu vergleichen. Es wäre also möglich, dass einer das Schmerz nennt, was ich selbst Jucken nenne. Wittgenstein fährt in dem Gleichnis dann folgendermaßen fort:
Wittgenstein:
Aber wenn nun das Wort ”Käfer” dieser Leute doch einen Gebrauch hätte? - So wäre er nicht der der Bezeichnung eines Dings. Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch nicht einmal als ein Etwas: denn die Schachtel könnte auch leer sein. - Nein, durch dieses Ding in der Schachtel kann gekürzt werden; es hebt sich weg, was immer es ist.
Erzählerin:
Mit der Bemerkung, dass durch dieses Ding in der Schachtel gekürzt werden könne, meint Wittgenstein, dass das Tier in der Schachtel gar nicht nötig sei, um unsere Kommunikation über Schmerzen zu erklären. Das bedeutet jedoch nicht, dass es unwichtig ist, ob wir überhaupt Empfindungen haben, wenn wir über sie reden. Vielmehr will er zeigen, dass das Bild von Empfindungen als privaten Käfern in Schachteln falsch ist. Schmerzen, Freude, Hoffnung, Grauen - alle diese Empfindungen sind keine privaten Phänomene, von denen ich lediglich durch mich selbst etwas weiß.
Erzählerin:
Wittgenstein entwirft mit diesen Überlegungen ein Verständnis von Empfindungen als sozialen, kulturellen, gemeinschaftlichen Phänomenen. Das bedeutet aber, dass unsere Empfindungen, das, was wir bei Schmerz oder Freude fühlen, durch unsere Zugehörigkeit zu einer Kultur, einer Lebensform, wie er es nennt, geprägt ist.

Quelle: http://db.swr.de/upload/manuskriptdienst/wissen/306.rtf

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