14.3.11

Katze, die einfach auf der Matte sitzt. (Austin)

Austins Sprechakttheorie, oder: Wie man mit Sprache handelt
[16]
Überhaupt, mein Bester, haben Sie schon bemerkt, wie eigentlich jeder Mensch ein Lügner ist? Nur gibt es zwei Arten, und darnach kann man die Menschen einteilen, in solche, welche andere belügen, das sind die materiellen Menschen, von denen man so in den Büchern liest, und dann die Idealisten, wie die Deutschen sie nennen - die sich selbst belügen.

Don Juan von Kolomea, Leopold von Sacher-Masoch
[17] Dass wir mit Sprache handeln, ist vielleicht so überraschend nicht. Wenn man sich hauptsächlich mit geschriebenen Texten beschäftigt, verliert man dies ein wenig aus dem Blick, aber auch geschriebene Texte "argumentieren", "beweisen", "behaupten", "appellieren", "überreden" usw. - alles Bezeichnungen für Handlungen. Im Gespräch mit anderen oder in der Begegnung erleben wir noch weitaus vielfältigeres Handeln mithilfe von Sprache. Besonders interessant sind solche Fälle, in denen die Sprache nur ein Beiwerk ist. Beim Versprechen etwa geht man eine Verpflichtung ein; beim Taufen wird jemand in eine Gemeinschaft aufgenommen, mit einem Testament werden Besitztümer vererbt. Vielen dieser Handlungen ist gemeinsam, dass die sprachlichen Formeln, die sie begleiten oder sogar ausmachen, wie Aussagesätze aussehen können. "Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes ..." - das ist grammatisch ein wohlgeformter Aussagesatz; praktisch aber ist es keiner. Denn er soll nichts aussagen, und man kommt nicht weit mit der Frage, ob er wahr oder falsch ist.
[18] Mit solchen Sätzen bzw. mit solchen Handlungen hat sich John Langshaw Austin beschäftigt; man kann das in seiner Vorlesung How to do things with words nachlesen, in der er die Grundzüge seiner Sprechakttheorie entwickelt.
[19] Damit klar ist, wovon die Rede ist, macht Austin eine Unterscheidung auf, die in Konkurrenz steht zur klassischen grammatischen Unterscheidung von Sätzen. Statt Sätze also nach ihrer grammatischen Form (Aussagesatz, Fragesatz, Befehl etc.) zu klassifizieren, untersucht er sie nach ihrer Funktion. Sätze mit einer bestimmten Funktion heißen "performativ". Ob ein Satz eine Funktion übernimmt, hängt davon ab, in welchem Zusammenhang er gebraucht wird. Nehmen wir das Beispiel Schiffstaufe. Der Satz "Ich taufe das Schiff auf den Namen Poseidon" erfüllt nur dann seine Funktion, wenn man sich an die Konvention für solche Gelegenheiten hält: man äußert ihn im Rahmen des Rituals und lässt dabei eine Flasche Sekt am Schiffsrumpf zerschellen. Der gleiche Satz wäre in einer anderen Situation keine Handlung, da man durch ihn nichts tun könnte. Austins Lieblingsbeispiel stammt aus dem Fußball: Der Schiedsrichter ruft "Aus!", wenn der Ball die Linie überquert. Damit sagt er nicht nur, dass der Ball seiner Meinung nach im Aus ist, sondern er erklärt ihn für "aus". Erst durch seine Äußerung (seinen Pfiff) ist der Ball wirklich im Aus. Das Beispiel zeigt zugleich, dass sprachliches oder kommunikatives Handeln nicht mal entfernt wie ein richtiger Satz aussehen muss.
[20] Performative Äußerungen können nicht wahr oder falsch sein, aber sie können gelingen oder verunglücken, indem sie zum richtigen oder falschen Zeitpunkt, von der richtigen oder falschen Person, mit der richtigen oder falschen Absicht usw. gesprochen werden. Auch Feststellungen und Behauptungen sind performativ. Was sie voraussetzen, sieht man im folgenden Beispielsatz: "Die Katze liegt auf der Matte, aber ich glaube es nicht". Sieht seltsam aus, oder? Denn die Behauptung "Die Katze liegt auf der Matte" setzt unausgesprochen voraus, dass der Sprecher die Behauptung für wahr hält. Tut er das nicht, ist die Handlung des Behauptens missglückt, weil die nötigen Bedingungen nicht erfüllt sind. Das ist einem Versprechen vergleichbar: "Ich verspreche dir, um neun heute bei dir zu sein" ist missglückt, wenn ich nicht die Absicht habe zu kommen. Diese Absicht ist die unausgesprochene Voraussetzung.
[21] Ob ich die Absicht habe zu kommen oder ob ich tatsächlich glaube, dass die Katze auf der Matte liegt, kann man meinen performativen Äußerungen nicht ansehen. Dabei wäre es doch für mein Gegenüber ganz wichtig zu wissen! Damit derlei überhaupt funktionieren kann, muss man also Vertrauen in sein Gegenüber haben. Anders ausgedrückt wirkt eine unausgesprochene Vereinbarung zwischen Leuten, die sich unterhalten, dass sie aufrichtig zueinander sind, einander nur wesentliches mitteilen, usw. Darum darf man - einige Beispiele - davon ausgehen, dass einer vorhat zu kommen, wenn er verspricht zu kommen, oder dass er glaubt, dass der Ball im Aus ist, wenn er "aus" entscheidet, dass er sich auskennt, wenn er einen Vortrag hält, dass er die Autorität hat, dies oder jenes zu tun (etwa zu taufen).
[22] Ein weiteres Beispiel: Begegnet man an der Gartentür einem Schild "Vorsicht, bissiger Hund", ist es ratsam zu vermuten, dass es einen Hund gibt und dass er gerne beißt; vielleicht kennt man aber auch den Besitzer des Gartens und weiß, dass das Schild nicht warnen sondern abschrecken soll. Eine genauere Kenntnis der Umstände kann uns also dazu bringen, vom Normalverhalten ("Aha, eine Warnung: bin ich mal lieber vorsichtig!") abzuweichen. Übrigens sieht man an diesem Beispiel noch, was Sie sich vielleicht schon gedacht haben: Performative Äußerungen müssen nicht gesprochen sein, um zu funktionieren. Handeln kann man auch durch Schrift.
Quelle: http://www.jg-eberhardt.de/philo_etheinf_02.html

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